VOM SINN DES LEBENS
der Sinn des Lebens ist das Sein
das Sein das ist der Sinn
sollten Sein und Sinn etwa dasselbe sein?
aber schaun wir erstmal näher hin:
coronistisch:
der Sinn des Lebens ist der touch
denn ohne ihn ist's bloßer Quatsch
Berührung macht das Leben aus
Corona treibt uns beides aus
wir leugnen es und streamen ohne
was und woher schert uns die Bohne
da haben wir schon Übung drin
ewig glotzen, letzter Sinn
finster wird des watchers Hirn
wie unterm Eis im tiefsten Firn
wenn nicht bisweilen was zu fühlen
ist mit der Hand an Molekülen
digital eating, letzter Schrei
echter Sex, längst vorbei
Hände weg, der Leib ist lästig!
gelernt ham wir es von der Pest. Ich
weiß, ich weiß, es klingt vertraut
gelangweilt fahrn wir aus der Haut
wenn Abstand sie vertrocknen lässt
dann hilft kein online Faschingsfest
a peace of software möcht ich sein
käm'n nicht auch da die Viren rein
vielleicht ist unsre ganze Sorte
ein solcher und am falschen Orte
hinweg mit uns - das wär die Lösung
auch was den Sinn betrifft Entblödung
denn blöde ist was Haut und Haar
und Atem hat, mit Tröpfchen gar
die schweben wild als Tod herum
und drohn dem Individuum
gib nimmermehr die Hand
halt immerzu Ab Stand!
kein touch kein Leid, es klingt bekannt
malochistisch:
der Sinn des Lebens ist die Arbeit
und sei sie noch so schwer
die Arbeit gibt uns Klarheit
dahinter liegt das Meer
laufbahnzentriert:
der Sinn des Lebens ist die Carrière
hapert sie, ists bald Misere
den Sinn gibt uns der Job
der Job ist unser Gott
der Job ergibt das Geld
von dem man lebt in dieser Welt
hat man Geld auch ohne
Job
braucht man ihn nicht, diesen Gott
kapitalistisch:
der Sinn des Lebens ist das Geld
das Geld regiert, ach nee, die Welt
es weiß das schon das kleinste Kind
wenn's Süßes damit im Shop gewinnt
unerbittlich:
der Sinn des Lebens ist das Brot
währt lang genug die Hungersnot
hyperrealistisch:
der Sinn des Lebens ist der Kampf
um Weib und Mampf
klassenkämpferisch:
die Revolution macht den Sinn im Leben aus
damit renkt man's falsche Leben aus
Problem ist meist im Nachhinein
wie renkt man's richtig wieder ein?
sexistisch reproduktivistisch:
der Sinn des Lebens ist die Frau
darum ich ihr so oft nachschau
der Sinn der Fau der ist das Kind
worauf wir so versessen sind
trendy:
der Sinn des Lebens ist die Mode
ihr folgen treu wir bis zum Tode
am allermeisten trendy
ist die Hand am Händi
informationistisch:
im Computer mit nur Eins und Null
macht Sinn die ganze Festplatte full
und kriegt sie ihre Mucken
soll man schleunigst aus sie drucken
sonst kann man was erleben
ohne Sinn im Leben
haptisch:
der Sinn des Lebens ist die Hand
wird sie regiert von viel Verstand
wo sie langt hin
entsteht der Sinn
wird sie regiert von Blödheit
entsteht nur Mist und Ödheit
dynamisch:
das Auto ist des Lebens Sinn
füllt Rasewahn mit Brauserausch
in Bogen und mit Bausch
rasen wir dahin
zum Sinn
notfalls im Taxi
durch die Galaxi
kriminalistisch - cinematographisch:
der Sinn des Lebens ist der Mord
das Publikum stimmt zu
meist endet er an Tates Ort
und Tät- und Opfer sind wie ich und du
alles dreht sich um Motive
uns so lieb wie einst dem Kind die Spielzeugeisenbahnlokomotive
kulturrelativistisch:
der Sinn des Lebens ist Kultur
je höher desto besser
Problem ist nur
der Höhenmesser
was dem einen erfüllt allerhöchste Erwartung
ist dem andern dekadente Entartung
es kommt drauf an von wo man misst
und wo oben und wo unten ist
Barbarei kann gesunde Basis sein
frag mal die Antropologen
Kapitalismus, muss das sein?
wer wird hier von wem belogen?
animistisch:
der Sinn des Lebens ist der Tanz
im Bärenfell mit Tigerschwanz
verbunden mit dem Tobgesang
macht man so Mensch und Götter bang
und tanzt man immer weiter
werden alle wieder heiter
(wirkt wie'n Blitzableiter)
artistisch:
des Künstlers Lebenssinn sind Harmonien
wie holder Blick nebst Heldenknien
aber im Großen und Ganzen
tun's auch Dissonanzen
Hauptsache es reimt sich
oder eben nich
plättistisch:
der Sinn des Lebens ist das Bügelbrett
wie hält man sonst die Kleidung nett?
wem Adrettheit das Ziel im Leben ist
oh Bügelbrett du wichtig bist
morphistisch:
der Sinn des Lebens ist der Schlaf
drum zähl ich willig Schaf um Schaf
und bin ich endlich selig weg
träume ich vom Bügelbrett
man könnte es auch so beschaun
der Sinn des Lebens ist der Traum
denn träumt man sich so richtig aus
macht's Leben im Wachen kaum noch was aus
im Traum ist man frei
kann zum Beispiel fliegen
oder seine Frau betrügen
es ist nur ein Traum
eitel Schaum
bald vorbei
wichtig im Schlaf ist das Erwachen
denn ausgeschlafen ist man neu geschaffen
geschaffen zu sein, geschaffen zu leben
jetzt muss nur noch der Sinn sich ergeben
denn im Traum
das macht schon was aus
kommt man weitestgehend ohne ihn aus
spiritistisch:
den Sinn des Lebens ahnt man bloß
wenns raunt im Wald und Ahnen dumpf agieren
dann lass mer unser Wähnen los
wie nen Hund zum Stöckchen apportieren
wenns Medium sich verzückt
der Urahn schreit
der Tisch sich rückt
die Erscheinung sich zeigt
dann ist der Sinn auch nicht mehr weit
jetzt heißt es schnell notieren
die Message nicht verlieren
fetischistisch:
manch Mannes Sinn sind Frauenschuh'
auch Frauen legen sich merkwürdige Dinge zu
ich nehm das nur als Beispiel
die Wahl erfolgt im Freistil
etwa ein Marienbild
Huldigung macht Sinne mild
sportlich:
des Sportlers Sinn ist die Medaille
da strengt er sich für an
Sieg für Sieg schafft er sie ran
ich find ihn ne Canaille
nein! sagt er, für Leib und Geist
mach ich mir all die Mühe
damit sie wachsen allermeist
steh ich auf in Herrgottsfrühe
auch um Applaus und Ehr und Ruhm
das geb ich zu, ists mir zu tun
aber das nur nebenbei
wichtig ist, ich bin dabei!
lakonisch:
der Sinn des Lebens ist der Uhrzeigersinn
kompromisslos:
dem Sinn des Lebens widme dich
final
lässt er dich im Stich
egal
narzisstisch:
der Schöpfung Krone ist ihr Sinn
richtig geraten, dass ich es bin
mein Leben ist der Sinn
alles andere Klimbim
nationalistisch:
sterb ich für mein Vaterland
hat der Sinn mich in der Kuschelhand
geheimdienstlerisch:
Sinn im Leben macht nur Überwachung mit Bild und Ton
für eine Überwachungssicherheitsdachorganisation
alles soll sie wissen
ein Mikro in jedes Kissen
ein Auge in jedes Handy
ist ohnehin trendy
für gutes Geld
belausch mer die Welt
analysieren Freund und Feind
die Organisation rechnet dann aus was ist gemeint
zu wissen dass sie alles weiß
ist ein gutes Ruhekissen und Lohn für den Fleiß
dann ist die Sicherheit
auch nicht mehr weit
und der Sinn im Leben
wird sich ergeben
leakistisch:
Sinn des Lebens ist das Leck
was rausströmt schert uns einen Dreck
minimalistisch:
nimm hin den Sinn
den Sinn nimm hin
hin nimm den Sinn
Sinn, nimm ihn hin
mathematisch:
Sein + Leben = Sinn
Leben = Sein - Sinn
Sein = Sinn : Leben
ist hier ein Fehler drin?
musikalisch:
des Lebens Sinn sind Ton und Takt
geteilt in Dur und Moll
sogar der Specht im Rhythmus hackt
das Ohr finds toll
ganz zu schweigen
von Karajan und Nachtigall
von Reigen mit Geigen
von Nachhall und Beifall
nach der Oper mit dem Knall
architektonisch:
Sinn im Leben macht auf Dauer
nur die Mauer
platonisch:
Sinn des Lebens
rühr mich nicht an!
das wär ohnehin vergebens
und halt dich dran!
bleibst du mir vom Leib
will ich dich würdigen
zum Zeitvertreib
mir dich aufbürdigen
ich seh deinen Schatten auch so
durch den Türspalt mit Licht aus aufm Klo
historistisch:
der Sinn des Lebens wird je älter
je ungewisser im Forschungsbehälter
wenn lang genug er im Museum liegt
er museale Bedeutung kriegt
indessen
selbst wenn uns ist der Eintritt frei
wir kommen ihm nicht dichter bei
evolutionistisch:
der Sinn des Lebens sind die Gene
Marlene machten sie scheene Beene
Pinoccio die Nase lang
Darwin seinen Wissensdrang
dem Kind den Spaß an der Seifenblase
und den Huckelkorb für'n Osterhase
und sie geben selbst sich weiter
wie das Huhn sich der Hühnerleiter
neoreligiös:
neuerdings ist vielen im Leben
der Sinn die Religion
sie ist ihnen gewissermaßen die Rückseite vom Atom
wer selber sich nicht lenken kann
dem liefert sie das Verbotene und das Gebotene an
und das Jenseits als Lohn
in Entscheidungsnot zwischen Verbot und Gebot
(wir sprechen im Gleichnis
und schaun ins Verzeichnis)
ist sie gleichzeitig
Brückengeländer und Fahrradständer
theologistisch:
der Sinn des Lebens passt zu Gott
wie der Deckel auf den Pinkelpott
passt er auf mehrere Pinkelpötte
dann gibts neben Gott noch andere Götte
allerdings bleibt der Verdacht
dass der Pott den Sinn ausmacht
theleologisch:
der Sinn des Lebens ist das Lob
das Gott sich aus den Menschen wob
er will gelobt sich wissen
sonst fühlt er sich beschissen
muselmanisch:
Allah ist groß!
Sinn lass mich los!
fundamentalistisch:
der Sinn des Lebens ist das Fundament
alles andere wird weggestemmt
buddhistisch:
der Sinn des Lebens ist der Wunsch
nach Glück und Größe und nach Punsch
ohn' Wunsch wir wunschlos glücklich sind
aber sinnlos wie der Wind
der Wunsch jagt uns hinauf zum Sinn
zu wissen wir ihn wünschen
das Wünschen steht uns bis zum Kinn
von Flensburg bis nach München
und wenn wir jemals wunschlos sind
ist der Sinn des Lebens hin
no Wunsch no Warteschlange
drauf warten wir schon lange
frühchristlich linguistisch:
geh hin und spinn
es werde Sinn!
diogenesistisch:
Unsinn,
geh mir aus dem Sinn!
christlich:
lasset die Sinnlein zu mir kommen
denn sie passen durchs Nadelöhr
der Unsinn im Leben ist überwonnen
vorbei das Malör
und du, lieb die Andern wie das Leben
dann kommste in Himmel und nicht daneben
messianistisch:
der Sinn des Lebens wird bald kommen
dann hat uns das Warten den Hauptpreis gewonnen
nautisch:
Sinnbild des Sinnes ist das Boot
in dem man sinkt in Meeres Not
oder weiter kommt zu gutem Wetter
im Rettungsboot als Retter
so ists auch mit des Lebens Sinn
mit ihm kommt man fast überall hin
nicht nur zu den Seychellen
wenn man überlebt die Wellen
sondern auch auf den Grund
wo begraben liegt der Hund
affinistisch:
der Sinn des Lebens ist der Leim
heiß oder kalt
ohne ihn kein Zusammenhalt
das leuchtet unmittelbar ein
belletristisch:
der Sinn des Lebens ist das Buch
auf oder zu
drin steht meist genuch
gelesen nie oder im Nu
vergeblich:
Sinn des Lebens
ha ha ha
erzähl das meiner Großmama
vermutlich vergebens
Sinn des Lebens!
emotionistisch:
Sinn des Lebens ist der Smile
beschwichtigt Trauer, Angst und Hackebeil
im Schriftverkehr überwiegt mit i
der Smily
oft tun's schon Doppelpunkt und Klammer
kaum gesehn, ist weg der Jammer
humoristisch:
der Sinn des Lebens ist der Witz
Paradestück vom Geistesblitz
optimistisch:
der Sinn des Lebens ist der Mai
der macht bekanntlich alles neu
worüber ich mich tierisch freu
wie übers Blut der Hai
ovulistisch:
der Sinn des Lebens ist das Ei
denn das gibt uns das Küken frei
das fröhlich piepst und sich erhebt
und später selber Eier legt
fatalistisch:
der Sinn des Lebens ist der Tod
wär sonst er unser täglich Brot?
alkoholistisch:
der Sinn des Lebens ist das Bier
drum sind wir hier
oder
der Sinn des Lebens ist der Wein
der führt uns hin
zum Sinn
na fein!
nochmal ausführlich sprachtheoretisch untermauert:
der Sinn des Lebens ist das Sein
(das fiel uns schon zuanfangs ein)
aber nein
das ist verkehrt
es ist gerade umgekehrt
(falls es nicht ist dasselbe
sondern das Gleiche wie z.B. Fluss Rhein und Fluss Elbe)
der Sinn des Seins ist das Leben
mit Wein und Bier
um sich gelegentlich drüber zu erheben
wir danken dafür
diätistisch:
nicht wichtig ist das Essen
sondern es vergessen
fabelhaft:
der Sinn des Lebens ist die Maus
denn sie nagt sich ein Loch hinaus
nein,
das kann nicht sein
sie nagt sich eins hinein
egoistisch:
der Sinn des Lebens, der bin ich
denn in mir ist das Sein an sich
duistisch:
vielleicht aber bist's auch du
denn du schaust nicht nur zu
kommunistisch:
oder aber wir
nebst Wein und Maus und Bier
kulinarisch:
der Sinn des Strudels ist der Apfel
reduktionistisch:
der Unsinn des Lebens ist das Un
was rasch wir in den Abfall tun
was übrig bleibt ist Sinn
das'n Ding!
für Bastler:
der Sinn des Lebens ist die Säge
sie teilt uns Holz und gibt uns Schräge
die Schräge gleiten wir hinab
das Brennholz brennt sich für uns ab
zu Asche werden ist der Sinn
nix wie hin!
märchenhaft:
der Sinn des Lebens ist das Glück
Hans darin hat großes
danach gehts wieder ganz zurück
und Hans hat Pech wie Moses
sexistisch:
der Sinn des Lebens ist der Sex
der Mann find's wahr
die Frau nicht echt
holistisch:
des Lebens Sinn ist's Loch im Arsch
da hindurch erfüllt sich Sinn
beim Menschen wie beim Barsch
denn
die Nahrung ist der Sinn im Leben
durch sie will Gott den Sinn uns geben
ein gutes Beispiel sind die Fische
am sinnvollsten sind besonders frische
statistisch:
der Sinn des Lebens ist das Los
Gott gab uns, denn er ist groß,
das große Sinnlos
ganz sinnlos ist dies Los
gib Vorzug dem Kartoffelkloß!
sanguinistisch:
der Sinn des Lebens ist das Blut
es zirkelt in uns rum
von ihm aus gesehn versteht man gut
dass wir nur Hülle sind drumherum
wenns raus läuft, strömt das Leben weg
und schwinden wir dahin
drum vermutet man mit Fug und Recht
das Blut ist unser Sinn
wird dir im Kampf das Blut genommen
hat der andre gewonnen
dann ist auch hin
dein Sinn
auch Tiger, Hai, Rotes Kreuz und Wanz
sind wie versessen auf diese Substanz
ihm gilt der Stich der Mücke
sie saugt es aus mit Tücke
Adelsgeschlecht, Piranja und Iltis
nebst Marder, Floh und Vampir
gebrauchen es als Lebenselixir
wir benutzen es als Bildnis
alles lechzt nach dir
womit der Verdacht erhärtet ist
dass es der Sinn des Lebens ist
relationistisch:
fast zum Schluss
normal fängt man damit an:
der Sinn des Lebens ist die Liebe
weil man nur lebend sie erleben kann
erst recht den Kuss
den Hass will ich mir schenken
soll'n andre sich's Hirn dran verrenken
schließlich:
der Sinn meines Lebens war dies Gedicht
sonst wär es nicht